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Werke

Reform oder Revolution

Zwischen Frankfurt und London demonstrieren in diesen Tagen die Kapitalismuskritiker. Doch selbst die größte Systemkrise bringt die Menschen in Deutschland nicht in Wallung. Was ist hier faul?

 

Fünf Stunden sind eine lange Zeit. Zumal im Regen. Zeit zu beobachten. Zeit innezuhalten. Zeit nachzudenken. Keine Euphorie trägt durch fünf kalte, nasse Stunden – die muss man durchstehen. Mit eisernem Willen und festem Glauben an eine gerechtere Gesellschaft, an eine bessere Welt. Zu Beginn, Punkt 12 Uhr am Mittag, drängen sich Demonstranten und Polizisten unter den Schirmen des Cafés Extrablatt an der Bockenheimer Warte. Wir stehen alle im Regen, würde ein Witzbold sagen. Aber Witze sind an diesem Tag nicht erwünscht. Die Demo ist bierernst. So ernst, es fehlt sogar das Bier. Am Ende, auf dem Römerberg, kurz vor 17 Uhr, liegen auf dem Pflaster platt getretene Becher von Starbucks und anderen Profiteuren der spätkapitalistischen Erfindung namens Coffee to go einträchtig neben Flugblättern, die zugleich den Antrieb wie auch den Fußabdruck des Protests festhalten. Fast jeder an dieser Demo teilnehmende Verein und Verbund, jede Organisation und Partei hat eine eigene Proklamation gedruckt (selbst eine »utopische« Ausgabe der ZEIT wird verteilt). Eifrig wird zu den Bekehrten gepredigt – die bürgerlichen Gaffer entlang des Weges werden seltener bedacht. Allein die Anarchisten, die mit Leichtigkeit jeden Humor- und Kreativitätspreis unter den Linken gewinnen würden, blicken gewitzt über ihren Horizont hinaus und rufen: »Arbeiter lasst das Schuften sein / reiht euch in die Demo ein!« Die Bauarbeiter winken erfreut vom vierten Stock eines Bürohochhauses hinab. Wie sie auf die revolutionäre Maximalforderung der Partei Die Linke (»10 Euro Mindestlohn, 40-Stunden-Woche«) weiter hinten im Demonstrationszug reagieren, ist nicht überliefert.

War einmal ein Revoluzzer / im Zivilstand Lampenputzer; / ging im Revoluzzerschritt / mit den Revoluzzern mit.

Fast jeder, der bei den linken Spektren Deutschlands Akronym und Namen hat, unterstützt diese Demo – Gewerkschaften, Attac, Umwelt- und Entwicklungsorganisationen, Migranten, Sozialinitiativen und christliche Gruppen. Es gibt auch die Ewiggestrigen, die sich nicht entblöden, die alte Ahnengalerie Marx, Engels, Lenin und Stalin im bärtigen Look und Halbprofil hochzuhalten. Auffällig ist, dass die Grünen fehlen; offensichtlich gehören sie in den Augen kritischer Bürger inzwischen zur Mischpoke des parlamentarischen Establishments. Und da auch Die Linke schwach repräsentiert ist, könnte man von einer (neuen?) außerparlamentarischen Opposition sprechen. Angesichts der vielen wehenden roten Fahnen, auf denen die Buchstaben K und M und L in unterschiedlichen Zusammensetzungen dominieren, fällt es einem schwer, nicht an Monty Pythons Das Leben des Brian zu denken, an die unsterblichen Worte des großen Vorsitzenden der Volksfront Judäas: »Die Einzigen, die wir noch mehr hassen als die Römer – sind die von der scheiß Judäischen Volksfront.«

Die vielen Grüppchen stehen nebeneinander und ignorieren einander. Der Gedanke einer breiten Volksfront wird von den Organisatoren immer wieder beschworen, doch die Einheit des Unvereinbaren war seit je eine gefährliche Illusion, und viele, die an sie glaubten, wurden von Stalins Schergen eines Todes belehrt. Wie wenig die Teilnehmer gemein haben, offenbart sich in der Losung der Demo, in ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner: »Wir zahlen nicht für eure Krise!« Dies ist entweder heiße Luft oder ein radikaler Aufruf zum zivilen Ungehorsam. Doch keiner der Redner und keines der Plakate ruft zum Steuerboykott auf, zur Enteignung aller Finanzspekulanten durch die Bürger, zur Blockade der Bundesbank. Noch während die etwa 20000 Versammelten skandieren: »Wir zahlen nicht für eure Krise!«, bezahlt ein jeder von ihnen die Zeche, weil die Privatinvestitionen, die Renten, die Lebensversicherungen, die Gehälter und die Ersparnisse an Wert verlieren. Wie also will man diesen pekuniären Aderlass stoppen? Die Erklärung der Veranstalter endet mit dem Aufruf: »Der Zwang zu ständigem Wirtschaftswachstum, Konkurrenz und Profiterzeugung steht einer Gestaltung der Wirtschaft nach sozialen und ökologischen Zielen entgegen. Wir brauchen Alternativen jenseits des Kapitalismus – so wie es ist, bleibt es nicht.« Dem Wortlaut merkt man den Kompromisscharakter an. Wie schwach klingt eine Resolution, die mit den Worten endet: So wie es ist, bleibt es nicht. Natürlich, na klar, und alles fließt, sowieso. Da zucken die Barrikaden von 1848, 1918 und 1968 zusammen.

Und er schrie: »Ich revolüzze!« / Und die Revoluzzermütze / schob er auf das linke Ohr, / kam sich höchst gefährlich vor.

Immer wieder bricht die bundesrepublikanische Geschichte von Protest und Widerstand durch den grauen Demo-Alltag in Frankfurt. »Jump, you fuckers« hat ein junger Mann auf einen grauen Karton geschrieben. Das riefen die Anarchisten 1929 vor den Banken der Wall Street und applaudierten eifrig, als sich die Bankiers (damals wohl mehr von Scham und Schande getrieben als heute) aus den Fenstern stürzten. Die Geschichte erzählt mir Jean T., der zu jenen Demonstranten gehört, die einen Rucksack an Erinnerungen mittragen und im Schlenderschritt das Heute mit dem Gestern und Vorgestern vergleichen. Jean war Sympathisant der Hausbesetzer der frühen Stunde, ein libertärer Freigeist, der wie bei vielen der radikal freiheitlich eingestellten Menschen keinen Grund sieht, die Ideale seiner Jugend nach unten zu korrigieren. Mit ihm durch Frankfurt zu marschieren bedeutet eine innerstädtische Topografie des Widerstandes zu erkunden. Wir ziehen am »Block« vorbei, einst vier dreistöckige Gründerzeit-Häuser im Eigentum von Ignaz Bubis, bei deren Räumung es 1974 zu einer großen Straßenschlacht mit der Polizei kam. Heute besetzt die KfW-Bank diese Ecke. Wenig später sehen wir den Balkon, von dem aus Alexander Kluge Szenen für Deutschland im Herbst filmte. Keinen Steinwurf entfernt befindet sich das Institut für Sozialforschung, in dem die Frankfurter Schule von Adorno und Horkheimer wirkte. Die Reden von den Bühnen und Lastwagen vermischen sich mit dieser Vergegenwärtigung, bilden ein Palimpsest, bei dem etwa eine weibliche Stimme an die Novemberrevolution von 1918/19 und das berühmte Haus mit der Nummer 93 an die Spontiszene gemahnt. Eine sarkastische Stimme klingt noch nach (»Hinfahren, Bratwurst essen, nach Hause fahren und glauben, man habe was bewirkt«), derweil die Torten aus dem Café Laumer fliegen, damals im Jahre 1969, als ein Langhaariger dieses Etablissements verwiesen wurde und die Kommune 1 – Fritz Teufel im Frack auf der Veranda! – mit verteilten Torten zurückschoss.

Doch die Revoluzzer schritten / mitten in der Straßen Mitten, / wo er sonsten unverdrutzt / alle Gaslaternen putzt.

Auch Siggi B., eine Generation älter als Jean, hat seine Demo-Sozialisierung auf diesem Asphalt erlebt. Als Schlosser trieb es ihn nach der Ermordung von Benno Ohnesorg auf die Straße. »Es war der 2. Juni 1967, und unsere Stimmung war empört, wütend, aggressiv, ganz anders als heute. Gegner waren nicht die Banker, sondern die Bild- Zeitung. Kurz darauf gab es eine große Anti-Vietnam-Demo, wir haben die Vietcong-Fahnen auf den Masten am Dach eines Gebäudes gehisst, da kamen die Zivilbullen und haben einen von uns runter geschmissen, und einer ist so übel vom Dach gefallen, er war für immer behindert, ich hatte so eine Wut, bin in den Park, Steine suchen, und hab sie zum ersten Mal geworfen.« An diesem Märztag 2009 hat man eher das Gefühl, den demonstrierenden Deutschen müsste der Baldrian ausgetrieben werden. Ein wenig Live-Musik, ein wenig Losungsaktionismus, wobei auch die Losungen und der Soundtrack früher wohl besser waren, sonst würden Jean und Siggi nicht immer wieder alte Sprüche und Lieder herauskramen: Macht kaputt, was euch kaputt macht . Oder: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran . »Sogar das Offensichtliche fehlt«, sagt Jean: »Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?« Dann zeigt er auf den Republikanischen Club und den Club Voltaire in der Kleinen Hochstraße. Wahrlich, ein wenig dadaistische Infusion täte not.

Während die Demonstranten an der schwer verbarrikadierten Börse vorbeischreiten, erinnern sich beide Männer an die Bilanzen in der Zeitschrift Pflasterstrand . »Entscheidend war, wie viel bei der letzten Demo entglast worden war, so hieß der Begriff für Sachschaden. Das war wichtiger als die Zahl der Demonstranten.« Folgerichtig ist die Fressgasse Frankfurts, die luxuriöse Goethestraße, abgeriegelt. Die Luxusmeile muss geschützt werden.

Sie vom Boden zu entfernen, / rupfte man die Gaslaternen / aus dem Straßenpflaster aus / zwecks des Barrikadenbaus.

Als die historisierend neu gebauten Häuser auf dem Römerberg noch fehlten, fasste der kahle Hügel Zehntausende, bei Ostermärschen und Konzerten von Joan Baez. Inzwischen wirkt der Platz mit seinen engen Zugängen und seiner rundlichen Form wie ein aufgeblasener bunter Luftballon. Man sieht die Redner nicht, vor allem, weil einige der Aktivisten zutiefst unsolidarisch ihre Fahnen direkt vor der Bühne aufstellen. Aber man hört sie – und könnte verzweifeln ob des Kleinmuts und der Widersprüchlichkeit.

Die Süddeutsche Zeitung formulierte eine passende Schlagzeile zur herrschenden Haltung: Gewerkschaften: Mehdorn muss zurücktreten. So ist es auf dieser Demo: Wir wollen eine neue Wirtschaftsordnung, wir wollen die Verhältnisse umwälzen, wir wollen die soziale Revolution, aber zuerst muss Mehdorn gehen. Oder in den Worten einer Veranstalterin: »Manche von euch fragen, sollen wir den Brief zur Unterstützung der Opel-Belegschaft unterschreiben oder die Welt retten? Wir schlagen euch vor: Unterschreibt den Brief und rettet die Welt.« Nun, Mehdorn ist inzwischen weg – wie geht’s weiter? An den Rändern franst die Demo aus, alte Bekannte unterhalten sich, manch einer lässt sich vor dem Historischen Museum den Döner schmecken. Auch die von vielen geforderte Verstaatlichung der Banken weckt kaum Begeisterung. Allzu offensichtlich ist sie weder Allheilmittel noch Fortschritt in Richtung wahrer Sozialismus. Dass führende Vertreter des alten Finanzsystems wie etwa Alan Greenspan inzwischen auch die Enteignung befürworten, gibt den kritischen Linken wohl zu denken. Mittelfristig würde ein verstaatlichtes Finanzsystem unweigerlich zu den altbekannten Problemen führen: Allmacht der Bürokraten, Korruption und Ineffizienz. Egal, wie eine Wirtschaft organisiert ist, sie benötigt Mikromanagement und freie Strukturen anstelle von zentralisierten, hierarchischen Apparaten. Und, bitte schön: Ist es so verwerflich, aus den katastrophalen Fehlern des 20. Jahrhunderts zu lernen?

Leitmotivisch ertönt auch das Schlagwort von der SOLIDARITÄT, manchmal gekoppelt mit »internationaler«. Doch Solidarität kann nur durch kollektives Handeln verwirklicht werden. Vorschläge dafür? Mangelware. Kein Redner weist auf die neulich beschlossene Wiederaufnahme der Exportsubventionen für die Milchwirtschaft der EU hin, die Hunderttausenden von kleinen Bauern vor allem in Afrika den Lebensunterhalt rauben wird, zugunsten weniger großer Molkereiunternehmen. Ein zutiefst undemokratischer und amoralischer Akt, der die Sonntagsreden von Bundespräsident Köhler, wir dürften in der Krise Afrika nicht vergessen, Lügen straft. Die Umsetzung dieser Entscheidung zu verhindern – das wäre internationale Solidarität.

Aber unser Revoluzzer / schrie: »Ich bin der Lampenputzer / dieses guten Leuchtelichts. / Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Die einzelnen Stimmen am Rande der offiziellen Veranstaltung diskutieren zunehmend weiterführende Fragen. Wird diese Krise den progressiven Kräften überhaupt helfen? »Einerseits«, sagt Siggi, »dient Verelendung oft als Katalysator für Revolutionen, andererseits schläft der Staatsapparat nicht, er arbeitet schon präventiv, er wird zurückschlagen. Und dann könnte die Lage übler werden.« Viel sei zu lesen über die Wut der Menschen, sagt eine Frau in ökologischer Kluft, aber wo sei denn diese Wut abgeblieben? Keine Aufstände vor der Commerzbank oder der Deutschen Bank. Keine Aktionen gegen Direktoren und Minister. »Bevor wir über Alternativen reden«, fügt ein Dritter hinzu, »muss es doch erst einmal Widerstand geben. Schau dir die Leute an. Lethargisch, egoistisch, verblödet vor ihren Fernsehern. Zu einer Demo über unsere Zukunft kommen viel weniger, als normalerweise ins Waldstadion pilgern. Wir brauchen Widerstand, massiven Widerstand, dann können wir weiterreden.«

Tatsächlich ist es befremdlich, dass die größte Krise seit Menschengedenken bislang fast keine ernst zu nehmenden Protestreaktionen hervorgerufen hat. Woran liegt es? Vertrauen wir nicht mehr dem anderen, der Gruppe, der Vereinigung? Leben wir so individualisiert und atomisiert, dass es den sozialen Vertrag zwischen den Bürgern nur noch auf Papier gibt? Glauben wir nicht mehr an die Zukunft unserer Gesellschaft, Europas, der Welt? Oder müssen wir uns einfach nur gedulden? Schließlich dauerte es einige Jahre nach dem Zusammenbruch der Börse in New York 1929, bis große Proteste und Aufstände ausbrachen. Auch damals warteten die Menschen geduldig, im Vertrauen auf ihre Regierung, ehe sie dann Läden plünderten und Polizisten prügelten, die verarmte Familien zur Räumung ihrer Häuser zwingen wollten. Vielleicht muss die wirtschaftliche Notlage sich verschlimmern, bis es wieder zu zivilem Ungehorsam kommt. Oder sind wir alle postmoderne Ego-Monster, ein jeder von uns seine Facebook-Site im Blick und seine persönliche Playlist im Ohr?

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehn, / kann kein Bürger nichts mehr sehen. / Laßt die Lampen stehn, ich bitt! / Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!«

Richtige Stimmung kommt nur auf, als Oskar Lafontaine spricht. Die Autonomen schießen ihre rohen Eier auf ihn, die Bodyguards blocken sie mit Schilden ab, als spielten sie an ihrem freien Nachmittag Kricket. Oskars Worte gehen unter in den Buhrufen der Schwarzgewandeten, die hüpfen und trillern und pfeifen und »Kein Gott, kein Staat, kein Vaterland« rappen. Ein Teil der Menge schließt sich an, ein anderer Teil empört sich. Als eine Veranstalterin mahnt, man solle seine Wut gegen die Verantwortlichen richten, kommt ihr entgegengeflogen: »Der gehört doch dazu!« Für wenige Augenblicke ist es spürbar, das Gefühl der Erregung und Mobilisierung, allerdings auf Sparflamme politischer Ambition, denn Lafontaines Schweigen würde in etwa so viel helfen wie Mehdorns Abgang. Außerdem scheinen selbst Autonome und Anarchisten von der Verspießerung der Gesellschaft angekränkelt zu sein. Von ihrem Lastwagen herab drohen sie zuerst der Polizei, sie solle Abstand nehmen; einige Minuten später verkünden sie die frohe Botschaft, der Einsatzleiter habe mitgeteilt, die Polizei habe sich ein wenig zurückgezogen. Wenn sich Anarchisten und Polizisten bürokratisch absprechen, weiß man, dass etwas faul ist im Staat.

Doch die Revoluzzer lachten, / und die Gaslaternen krachten, / und der Lampenputzer schlich / fort und weinte bitterlich.

»Ich frage mich immer wieder, was es bedeuten würde, zu gewinnen«, sagt zum Abschied Siggi B., nach zweitem Bildungsweg Lehrer und Buchvertreter und ein Leben lang überzeugter Marxist. »Ich denke, es wäre die endgültige Entmachtung der kapitalistischen Eliten und Oligarchien. Aber ich habe wenig Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit dazu kommt.« Der nachdenkliche Demonstrant muss sich voller ähnlicher Zweifel nach Hause begeben. Wie soll sich ein System, das als imperial, brutal, profitgeil und unterdrückerisch beschrieben wird, von Unterschriftenaktionen und Plakaten zum Umdenken bewegen lassen? Wie soll man utopisch denken und zugleich realistisch handeln, wenn das Problem darin liegt, dass der Gegner (die kapitalistische und politische Elite) den Rahmen dessen vorgibt, was realistisch sein darf? Sollen wir ein ideelles Konzept im Trockendock entwickeln oder auf die allmähliche Verbesserung bestehender Strukturen vertrauen? Brauchen wir eine fertige Blaupause oder vertrauen wir auf Learning by Doing? Die uralte Frage also: Revolution oder Reform?

Der Sozialwissenschaftler Immanuel Wallerstein hat in einem Artikel für The Nation über die Krise des Kapitalismus folgende Alternativen aufgezeichnet: »Wenn die Linken mittelfristig keinen Plan haben, wird der Kapitalismus als Weltsystem durch etwas ersetzt werden, das vermutlich viel schlimmer ist als das schreckliche System, in dem wir seit fünf Jahrhunderten leben. (…) Es ist eine Schlacht zwischen dem Geist von Davos (ein neues System, das nicht kapitalistisch, aber hierarchisch, ausbeuterisch und polarisierend ist) und dem Geist von Porto Alegre (ein neues System das relativ demokratisch und egalitär ist). Es gibt hier kein geringeres Übel. Es ist entweder das eine oder das andere. Unser Sieg ist keineswegs sicher. Aber er ist möglich.«

Jeder, der an die Weisheit dieser Zeilen glaubt, muss sich in Deutschland eine luzidere, mutigere, größere Opposition wünschen. Die strategischen und programmatischen Debatten über die Zukunft unserer Gesellschaft und Wirtschaftsweise können sich nur entfalten, wenn gleichzeitig die »globale Temperatur auf den Straßen« (Mike Davis) ansteigt. Massenhafter Widerstand kann die Freiräume schaffen, in denen Veränderung zuerst gedacht und dann umgesetzt wird. Sonst werden wir den kommenden Generationen nicht nur eine zerstörte Welt, sondern auch noch untragbare Schulden hinterlassen.

Dann ist er zu Haus geblieben / und hat dort ein Buch geschrieben: / nämlich, wie man revoluzzt und dabei doch Lampen putzt . Erich Mühsam

ZEIT online, 6.4.2009